Komm mit in Piyas und Bennets Welt 💖 Ich teile mit dir in diesem Blog die ersten Kapitel von Siebzehn Jahre. Ohne mich. Mit dir. mit dir. Ich wünsche dir viel Freude beim Lesen. Alles Liebe, Andrea
DREI
Wach & dunkel
Der Bildschirm vor meinen Augen verschwamm. Wem schrieb ich gerade? Richtig, dem Caterer. Er hatte in seiner Antwort auf meine E-Mail von gestern Nacht einen falschen Termin genannt. Ich markierte den Teil meiner Nachricht, in dem ich Ort und Zeit und Datum wiederholte, und formatierte ihn fett. Und um ganz sicherzugehen, erhöhte ich die Schriftgröße.
Es war die letzte E-Mail. Danach würde ich endlich Schluss machen können. Mein Blick fiel auf die Uhr in der rechten, oberen Bildschirmecke. 02:13 Uhr.
Aus den Lautsprechern drang ein ‚Wusch‘. Die E-Mail war verschickt. Hoffentlich würde der Caterer es dieses Mal richtig verstehen. Mein Herzschlag beschleunigte sich. Aber was, wenn nicht? Was, wenn er die Mail nur nebenbei und dabei das Wichtigste überlas? Ich öffnete meinen Taschenkalender und notierte mit roter Farbe: ‚Caterer anrufe…‘
Ein Knarren ertönte hinter mir. Ich fuhr herum, bevor ich das Wort zu Ende geschrieben hatte. Die Tür öffnete sich und ein verführerischer Geruch drang in den Raum. Gefolgt von Bennet. „Du hast nicht abgeschlossen?“
Meine Augen weiteten sich bei dem Gedanken daran, dass dies einem anderen Mann als Bennet hätte auffallen können. „Nicht?“
Er schüttelte den Kopf und griff nach dem Schlüssel auf meinem Schreibtisch. „Mach das Ding aus.“ Er deutete auf den Computer. „Und dann komm nach vorne.“
Ich stützte die Ellenbogen auf die Tischplatte, überflog mein E-Mail-Postfach und danach meinen Kalender. Ich hatte alles erledigt. Nur die E-Mail-Anfragen potentieller neuer Kunden hatte ich noch nicht durchgesehen. Ich steuerte den Cursor auf den Ordner, doch bevor ich klickte, rief Bennet: „Ich hab gesagt, du sollst das Ding ausmachen.“
Ich seufzte und schaltete den Computer aus. Die Anfragen hatten bis morgen Zeit. Julia würde sich darum kümmern. Dafür hatte ich sie schließlich eingestellt und sie warf mir jedes Mal einen irritierten Blick zu, wenn ich ihre Arbeit machte.
Nachdem ich das Licht gelöscht und meine Sachen gegriffen hatte, verließ ich das Büro und ging nach vorne in den Kundenbereich. Bennet hatte das Licht in der kleinen Sitzecke eingeschaltet. Nur dieses. Der Rest des Raumes lag im Dunkeln. Der flache, runde Holztisch war gedeckt und auf ihm standen Teller und Schüsseln gefüllt mit Nudeln, Gemüse und Fleisch in Saucen, die für den verführerischen Duft verantwortlich waren. In der Mitte leuchtete eine Kerze.
Ich lächelte, ging zu einem der Sessel und setzte mich. „Welcher Imbiss hat denn jetzt noch geöffnet?“
„Keiner.“
Ich sah ihn verständnislos an.
Er reichte mir ein Glas Wein. „Ich habe gekocht.“
„Du hast …“ Ich sah wieder auf die Uhr. „Du bist doch irre.“
„Nein, das bin ich nicht.“ Er setzte sich, griff eine Gabel und gab Nudeln auf seinen Teller. „Ich habe mich hingelegt, nachdem ich dich hier abgesetzt hatte, bin vor einer Stunde wieder aufgestanden und habe dieses Rezept ausprobiert, das ich vor ein paar Wochen entdeckt habe.“
Ich lächelte. „Danke.“ Und setzte hinzu: „Das ist natürlich überhaupt nicht irre.“
Er grinste. „Ich halte dich am Leben. Das ist purer Selbstschutz. Und du bist ja wohl die Letzte, die mich schief ansehen darf, weil ich nachts etwas Neues lerne.“
„Ehrlich, Bennet, warum tust du das?“
Er sah mich an und zögerte. „Aus dem gleichen Grund, aus dem du mit mir jede Woche das Wohnzimmer umräumst, damit ich Videos drehen kann.“ Bennet jobbte an drei Tagen in der Woche als Koch in einem Restaurant im Zentrum der Stadt. In der restlichen Zeit coachte er Menschen, die ihrem Körper und ihrem Leben insgesamt wieder mehr Aufmerksamkeit schenken wollten. Seit ein paar Monaten produzierte er außerdem Videos und begann gerade, diese als Online-Kurse zu veröffentlichen. Er hatte jahrelang als Physiotherapeut und Trainer gearbeitet, fühlte sich aber nirgendwo wirklich wohl. Sein Weg in die Selbstständigkeit hatte später als meiner begonnen und inzwischen konnte er es sich genauso wenig wie ich vorstellen, nicht für sich selbst zu arbeiten.
Ich sah ihn an und wollte erwidern, dass es wohl kaum das Gleiche war, ein paar Möbel durch die Gegend zu schieben und jemanden mitten in der Nacht zu bekochen, aber er kam mir zuvor: „Wir sind ein Team, Piya.“
„Aber dafür …“
„Dafür isst du jetzt, damit wir endlich nach Hause kommen.“
Ich griff nach einem der Löffel und schob ihn in die Schale mit dem Gemüse. „Das sieht unglaublich gut aus.“
„Ich hab nur ein Rezept nachgekocht.“
„In unserer Küche könnte man auch Videos drehen.“
Er sah auf. „Von mir beim Kochen?“
Ich nickte und sah ihn an. „Oder du könntest deinen Kunden immer mal etwas Leckeres mitbringen.“
„Du meinst das wirklich ernst, oder?“
Ich schob eine Gabel gefüllt mit Fleisch und Gemüse in den Mund. Es schmeckte großartig. Besser als in so ziemlich jedem Restaurant, in dem ich in letzter Zeit gegessen hatte. Als mein Mund wieder leer war, sagte ich: „Bennet, das schmeckt unfassbar gut. Du wirst deine Kunden ewig an dich binden, wenn du sie mit solchen Geschmacksdimensionen bekannt machst.“
Er lachte auf. „Wirst du irgendwann mal nicht ans Geschäft denken?“
Es war ein kleiner Stich, den er mir mit dieser Frage versetzte. Ich hatte es gut gemeint. Ich hatte ihm sagen wollen, wie toll sein Essen war.
Er bemerkte meinen Stimmungsumschwung. „Entschuldige. Wahrscheinlich hast du sogar recht.“
Ich erwiderte nichts.
„Piya.“ Er strich über meine Wange. „Ich werde darüber nachdenken.“
Ich sah ihn an. „Das solltest du wirklich.“ Ich schob eine weitere Gabel in den Mund und wartete dieses Mal nicht, bis er wieder leer war, bevor ich weitersprach. „Anderenfalls werde ich dich heimlich filmen oder deine Kunden ohne dein Wissen zum Essen einladen.“
Er sah mich für einen Moment erschrocken an, erkannte dann aber, dass ich es nicht ernst meinte. Wir lachten und dann aßen wir weiter. Ich erzählte ihm von meiner Befürchtung, der Caterer könnte das falsche Datum anvisieren und dadurch doch noch einmal alles ins Wanken bringen. Bennet beruhigte mich und meinte, dass er vielleicht nur die falschen Zahlen in die E-Mail geschrieben hatte.
Irgendwie schaffte er es, mich von den vergangenen Stunden und Tagen ab- und unser Gespräch zu Livia zu lenken. Wir redeten über ihren Auftritt, die Tatsache, dass wir sie in diesem Sommer nicht bei uns haben würden, schwelgten in Erinnerungen an ihre Kindheit und kehrten schließlich in die Gegenwart zurück.
„Möchtest du wirklich mit mir allein nach Bali fliegen?“
„So oft, wie du mich das fragst, könnte man meinen, du willst nicht allein mit mir fahren.“Dieser Gedanke fühlte sich nicht gut an. Nicht, dass ich mir nicht vorstellen konnte, alleine zu fahren. Es war vielmehr die Vorstellung, dass er nicht mit mir fahren wollte, die mir einen kleinen Hieb versetzte.
Er zog die Augenbrauen zusammen.
„Bennet?“
„Doch, klar. Aber wir könnten auch stornieren und dann zu dritt zu einem späteren Zeitpunkt fliegen.“
Ich schüttelte den Kopf. „Aber nicht nach Bali.“ Wir hatten ewig für diesen Urlaub gespart. Drei Wochen nur wir: Livia, Bennet und ich. Seitdem Livia vor drei Jahren auf das Internat gewechselt hatte, verbrachten wir nur die Wochenenden miteinander. Zwar lag die Schule nicht weit von der Stadt entfernt. Aber der Schulweg wäre mit fast zwei Stunden Bus- und Bahnfahrt pro Strecke zu weit für sie gewesen, um weiter zuhause wohnen zu können. Wir hatten lange überlegt, uns dann aber gemeinsam mit Marias Eltern für das Internat entschieden.
Dank eines Stipendiums waren die Kosten gut tragbar. Meine Event-Agentur lief gut. Die Leute wollten ihre Veranstaltungen immer professioneller aufziehen, um vor den Nachbarn, den Kollegen und ihren Kunden zu glänzen. Selbst Kindergeburtstage organisierte ich regelmäßig. Vor einem Jahr hatte ich Julia eingestellt und so, wie es aussah, würde ich bald eine weitere Mitarbeiterin aufnehmen müssen. Vielleicht. Eigentlich wollte ich es noch eine Weile zu zweit schaffen.
„Wo hängen deine Gedanken?“
Mein Blick fiel auf die Gabel in meiner Hand, von der cremige Kokossoße tropfte. „Überall und nirgendwo.“
„Dann lass uns hier fertig werden und nach Hause fahren.“
Ich nickte, steckte die Gabel in den Mund und aß den Rest des wunderbaren frühmorgendlichen Abendessens auf. Ich wusste, dass Bennet nicht nur deshalb mit mir hier saß, um mich am Leben zu halten oder weil ich ihm bei seinen Videos half. Wir waren ein Team, er hatte recht. Aber deswegen war ich nicht weniger dankbar dafür, wenn er mir immer wieder den Rücken freihielt, damit ich meinen Weg gehen konnte.
Zwanzig Minuten später schloss Bennet die Tür zu unserer Wohnung auf. Ich hängte die Tasche an ihren Haken, schlüpfte aus den Schuhen und schlurfte in Richtung Badezimmer. „Ich will nur noch duschen und dann ins Bett. Ich könnte direkt hier auf dem Boden einschlafen.“
„Tu das. Ich lese noch etwas.“
„Bist du denn gar nicht müde?“
„Ich habe schon vier Stunden geschlafen. Schon vergessen?“
„Du Glücklicher.“
Er sagte nichts, auch wenn ich den Kalenderspruch in seinen Augen lesen konnte: ‚Glück kommt nur zu dir, wenn du es dir nimmst.‘
Ich zog mein Kleid über den Kopf und warf es in den Wäschekorb. „Ich werde wie ein Stein schlafen.“
Aber auch eine halbe Stunde, nachdem ich mich ins Bett gelegt hatte, kreisten die Gedanken mit solch einem Tempo durch meinen Kopf, dass ich nicht einschlafen konnte. Immer wieder zogen E-Mails durch meine Gedanken, die ich noch schreiben musste. Sobald ich mich dem Punkt näherte, an dem die Realität durch die Traumwelt abgelöst wurde, schrak ich auf, weil ein neues Schreckensszenario die Adrenalinausschüttung meines Körpers ankurbelte. Gäste, die vor der abgebrannten Location standen. Blumen, die statt des Caterings geliefert wurden. Kellner, die eher auf eine Rocker-Party gepasst hätten als auf ein Firmen-Event.
Immer wieder notierte ich Aufgaben und Erinnerungen in die Notiz-App meines Handys. Aber ich bekam sie dadurch nicht aus dem Kopf. Sie schienen sich zu vermehren, mit den Schreckensszenarien zu verbinden und eine riesige graue und undurchdringliche Wolke in meinem Kopf aufzublasen, die sich einfach nicht über mein Bewusstsein legen und mich endlich schlafen lassen wollte.
Und dabei musste ich schlafen. Ich hatte nur noch wenige Stunden Zeit, bis ich wieder in der Agentur sein musste. Ich brauchte diesen Schlaf. Der Gedanke setzte mich aber nur noch mehr unter Strom. Ich dachte an all die Einschlaf-Techniken, über die ich vor Jahren einmal in einem Buch gelesen hatte.
Ich versuchte, meinen Atem zu fokussieren. Ich entspannte jeden einzelnen Muskel, nachdem ich ihn angespannt hatte. Ich zählte bis zweihundert, dann meine Atemzüge, die Bücher in den beiden Regalen, auf die das Licht der Straßenlaternen schien. Ich zählte die Gedanken in meinem Kopf und schließlich die Farben des kleinen Regenbogens, der seit dreizehn Jahren meine Wand zierte. Es half nichts. Nichts half.
Also stand ich auf und ging ins Wohnzimmer. Es war leer und auch alle anderen Räume waren dunkel. Ich schlich zu Bennets Schlafzimmertür und legte das Ohr an das kalte Holz. Nichts. Verdammt! Ich drehte mich weg von der Tür, um zurück in mein Zimmer zu gehen, und stieß mit dem Fuß gegen einen Schrank. Es tat nur ein bisschen weh, aber das Geräusch hallte durch die stille Wohnung.
„Ich bin noch wach, Piya.“ Bennets Stimme drang dumpf zu mir.
Ich atmete tief durch, öffnete die Tür und sagte: „Können wir miteinander schlafen?“
Er schaltete das Licht ein und betrachtete mich mit einem amüsierten Lächeln. „Jetzt?“
Ich ging zum Bett, hob die Decke an und krabbelte darunter. Als ich neben ihm saß, kräuselte ich die Lippen und nickte.
„Du kannst nicht schlafen?“
„Ich kann nicht schlafen.“
„Wir hatten schon bessere Gründe für Sex.“ Er lachte und ich schmunzelte.
„Ist der da voll?“ Er tippte mit seinem Zeigefinger gegen meine Stirn.
Ich nickte. „Da sind all diese Gedanken drin und ich schaffe es einfach nicht, sie loszulassen. Sie machen mich fertig und ich will doch nur schlafen. Ich bin so müde und dieser dumme Kopf hört einfach nicht auf zu denken.“
„Okay. Aber du musst aufhören zu reden.“ Noch immer wirkte er amüsiert, aber langsam schob sich auch etwas anderes in seinen Blick. Ich spürte ein Ziehen in meinem Bauch und ich schwang ein Bein über sein Becken. Er zog meinen Kopf zu seinem und küsste mich.
Ich hob das Gesicht wieder an. „Aber nur ganz schnell.“ Ich sah auf die Uhr auf dem Nachttisch. „Ich muss quasi gleich wieder auf…“
Er küsste mich wieder, rollte sich auf mich und lenkte meine Gedanken weg von all den Dingen, wegen derer ich mich in seinem Schlafzimmer befand. Bennet wusste, wo und wie er mich berühren musste. Und ich wusste, was er mochte. Wir waren auch zwischen den Laken ein Team und nach weniger als zehn Minuten kamen wir beide und ich sank erschöpft und gedankenlos in die Kissen neben ihm.
„Danke.“ Ich strich ihm über die stoppelige Wange und meine Hand sank neben mir auf das Kopfkissen.
Er legte die Decke über mich, gab mir einen Kuss und sagte nichts. Aber vielleicht verschwanden seine Worte auch zwischen den Tiefen des Schlafes, der mich endlich mit sich in die Stille führte.
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